Anlässlich der Programmvorstellung der Europäischen Toleranzgespräche 2018 in der Oberbank Wien hat der Salzburger Zeithistoriker und Architekturtheoretiker Michael Zinganel seine Thesen zur Mobilität und Migration im Alpen-Adria-Raum präsentiert. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte Zinganel auf, dass es vor allem die enormen Erwartungshaltungen seien, die Menschen auf den Weg bringen, und diese seien wiederum die Folge der Flut an Bildern, die heute gerade über die sozialen Netzwerke in Sekunden um die ganze Welt gehen. Schutzzonen und Rituale zur Vermeidung von Konflikten Für die einen geht es schlicht um ein besseres Leben, weil sie in ihrer Heimat keine Hoffnung und Zukunftsperspektiven mehr haben, für die anderen um den Reiz des Neuen, um Erfahrungen und Abenteuer. Im Tourismus würden dafür bereits Schutzzonen („Hinterbühnen“) errichtet und Rituale entwickelt, da es ansonsten zwischen Gästen und Einheimischen ständig krachen würde, sagte Zinganel und erinnerte an „Sozialprogramme“ für britische Nachsaisontouristen, damit sie den Gastort nicht verwüsten, an Infobroschüren für andere Kulturkreise oder auch an den „russischen Jungoligarchenansturm“ und die „arabische Invasion“ in Zell am See. Aufbruch ins Ungewisse Die Verbesserung der Infrastruktur und moderne Kommunikationstechnologien haben dazu geführt, dass die Informationen darüber, wo es ein besseres Leben gibt, überall verfügbar sind. Die Menschen in Entwicklungsländern seien einem Meer an Bildern und Fehlinformationen ausgesetzt und machen sich in der Erwartung auf den Weg, am schönen Leben in Europa teilzuhaben, wenn sie nur ans Ziel gelangen. Die anderen fahren weg im Sog der Vorausgehenden, von denen immer nur „Erfolgsnachrichten“ in die Heimat gelangen. Denn diese müssten ja die hohen Reisekosten argumentieren, ein Scheitern kommt daher erst gar nicht in Frage. Multiorganversagen des Westens Zinganel sprach i.d.Z. von einem „komplexen Multiorganversagen“ der Weltgemeinschaft und sieht wenig Hoffnung, dass diese Migrationsströme eingedämmt werden könnten. Die besten Programme in Entwicklungsländern, ihre Talente im Land zu halten, scheitern daran, dass die seit dreißig Jahren hereinflutenden Bilder von einem besseren Leben in Europa oder Amerika eben „cooler“ sind. „Jeder kennt jemanden, der ein besseres Leben gefunden hat“, so Zinganel. Der tragische Aspekt dabei ist, dass kaum negative Erfahrungen in die Entwicklungsländer zurückschwappen. Hintergrund: Michael Zinganel kuratiert Ausstellungen und Projekte über Alltagsarchitektur, Sicherheitstechnik sowie Tourismus als Motor transnationaler Mobilität und unterrichtet an zahlreichen Universitäten und Hochschulen, u.a. in Wien, Graz, Linz, Luzern und Zürich. Seit 2017 hält er eine Gastprofessur am Institut für Kulturanalyse an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Fotos von der Veranstaltung auf Fotodienst.