„Nur wenn wir uns selbst infrage stellen, können wir andere Meinungen besser verstehen. Toleranz als Ausdruck des Respekts ist ein Lebensprinzip und zugleich ein starkes Bekenntnis zum Humanismus“, so Bundespräsident Heinz Fischer am Freitag, bei der Eröffnung der ersten Europäischen Toleranzgespräche im Kärntner Bergdorf Fresach http://fresach.org . Unter dem Motto „Wie weit geht Toleranz? Aufgaben für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ diskutierten Sozialwissenschaftler ebenso wie Schriftsteller, Theologen und Ökonomen die zentralen Herausforderungen auf dem Weg zu einem friedlichen und respektvollen Miteinander. Gastgeber der international besetzten Veranstaltung war das Dialogforum Denk.Raum.Fresach. „Verschiedenheit als Bereicherung verstehen“ „Toleranz“, so Fischer in seiner Rede, „braucht aber auch verbindliche Normen“. Ein friedliches Zusammenleben könne auf die Achtung von Grund- und Freiheitsrechten nicht verzichten. Neben dem Bundespräsidenten begrüßte auch der evangelische Superintendent Manfred Sauer alle Anwesenden und rief im Zuge der feierlichen Eröffnung dazu auf, „versöhnte Verschiedenheit als Bereicherung zu verstehen“. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser betonte, dass für ihn der Begriff der Toleranz untrennbar mit jenem der Freiheit verbunden ist. „Intoleranz ist Unfreiheit“, so Kaiser. Für Hannes Swoboda, Präsident des Denk.Raum.Fresach, muss Toleranz mehr als nur Duldung sein, nämlich Respekt und Anerkennung. Swoboda warnte davor, insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Konflikte, „Ideen und Religionen an jenen zu messen, die sie für ihre Ziele missbrauchen“. Menschenwürde im Zentrum Auf die Worte von Politik und Kirche folgte eine Keynote des Publizisten Ronald Barazon. Auch er kritisierte, dass Toleranz oftmals als Duldung missverstanden werde. „Toleranz bedeutet, eigene und fremde Standpunkte infrage zu stellen, andere Meinungen zu akzeptieren und von ihnen zu lernen. Es handelt sich dabei um eine ununterbrochene Herausforderung und einen nie enden wollender Prozess, in dessen Zentrum die Menschenwürde steht“, so Barazon. Wie Präsident Fischer, betonte er die Bedeutung des Rechtsstaats und unterstreicht die Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie. „Toleranz ist intolerant gegen Intoleranz“, erklärte der in Israel geborene Publizist. Im Anschluss an die Keynote von Barazon folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema Migration inklusive einer kritischen Betrachtung der Haltung Europas. Armut und Krieg zwingen tagtäglich unzählige Menschen, aus ihrer Heimat zu flüchten. „Wir sind nicht unschuldig an den aktuellen Entwicklungen“, erklärt Swoboda und kritisiert dabei die militärischen Interventionen des Westens sowie die Untätigkeit der Europäischen Kommission in der Flüchtlingsfrage. Als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Entspannung der Situation sieht er die Schaffung von kontrollierten Korridoren, die es Flüchtlingen ermöglicht, legal nach Europa einzuwandern. Versäumnisse in der EU-Politik Helmuth A. Niederle, Präsident des PEN-Club, kritisierte in seinem Statement vor allem die europäischen Staaten. Sie hätten die mittlerweile gestürzten Diktaturen Jahrzehnte lang gestützt und sich taub gestellt. Die Politik der Europäischen Union ist auch für Eugen Freund, Abgeordneter des EU-Parlaments, ein Grund für die aktuelle Krise. „Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Landwirtschafts- und Fischereipolitik haben vielen Menschen in der Dritten Welt die Lebensgrundlage regelrecht entzogen“, so Freund. Den historischen Sündenfall sieht er in der Kolonialisierung Afrikas und der damit einhergehenden Ausbeutung. Der deutsch-indische Philosoph Pravu Mazumdar vermisst einen Gestaltungsanspruch in der europäischen Politik. „Europa hinkt den Ereignissen hinterher und ist stets reaktiv. Wenn dann reagiert wird, dann meistens aufgrund des anhaltenden Drucks von Lobbys“, sagte Mazumdar. Dabei stelle man sich viel zu selten die Frage: „Was ist eigentlich mein Interesse?“ Gleichberechtigte Partizipation statt Integration Neben dem Umgang mit der Flüchtlingsproblematik diskutierten die Gesprächsteilnehmer auch die Situation der Asylsuchenden in Österreich. Gemeinsam mit Niederle plädierte Mazumdar dafür, nicht von Integration zu sprechen, sondern vielmehr von gleichberechtigter Partizipation, denn es bestehe schließlich die Gefahr, dass Integration als Synonym für Toleranz benutzt werde. Nach der Podiumsdiskussion folgte am Vormittag noch ein französischsprachiger Vortrag der Sprachwissenschaftlerin Zohra Bouchentouf-Siagh über die Positionen einer „dekolonialen“ Moderne im afrikanischen Denken der Gegenwart. Fotos zur Veranstaltung stehen unter http://fotodienst.pressetext.com/album/3462 als Download zur Verfügung.