Die Diskussion darüber, ob offene (grenzenlose) oder geschlossene (isolierte) Staatssysteme auf lange Sicht erfolgreicher sind, ist so alt wie die Geschichte Europas selbst. Während die alten Griechen Fremden und Zuwanderern (Metöken) niemals Zugang zu Land oder Bürgerrechten gewährten, konnten im Römischen Reich sogar Sklaven Bürger werden. Die Herkunft aus fremder Erde war fürdas Bürgerrecht kein Hindernis. Im Gegenteil, im alten Rom hatte jeder Mensch zwei Vaterländer (Identitäten) – sein Herkunftsland und das Römische Reich. In seiner Eröffnungsrede zu den Europäischen Toleranzgesprächen 2019 in Fresach wies der in Brixen geborene italienische Sprach- und Literaturwissenschafter Maurizio Bettini von der Universität Siena darauf hin, dass es am Anfang des römischen Reichs trojanische Flüchtlinge waren, sie sich mit den einheimischen Latinern vermischten und die Grundlage zur späteren Weltmacht legten. Zu allen Zeiten waren jene Gesellschaften anderen überlegen, schlussfolgerte Bettini, die es verstanden, unterschiedliche Kulturen zu integrieren und zum Vorteil aller zu nutzen. Laut Bettini war die Identität der Römer vor allem eine „exzentrische“, also von außerhalb (der Mitte) kommende. Und genau das sei der Grund, weshalb die Gesellschaftsvision und Praxis der Römer auch in unserer Zeit noch ein brauchbares Modell für Europa abgeben kann. „Doch dieses verbeißt sich in einer Selbstsuche, die ein Ganzes in viele Teile mit dem Anspruch auf nationale Souveränität und der Tendenz zur Selbstbeschau aufsplittert.“ Folge dieser Haltung sei die permanente Angst vor den Fremden, den verschiedenen Formen des Andersseins – und zwar immer dann, wenn diese an den Grenzen sichtbar werden, sagte Bettini am Mittwoch Vormittag im Kärntner Bergdorf Fresach. Mehr auf pressetext.